Beispieltexte

 

Kapiteltext

Sich finden  (1812 – 1826)

Broterwerb und Dichterinteressen stehen in Rückerts Leben immer im Konflikt. Seine Lehrver­pflichtungen an der Universität Jena ignoriert der junge Privatgelehrte. Eine Anstellung als Lehrer, die ihm der Vater besorgt hat, tritt er erst gar nicht an. Rückert schließt sich lieber der kreativen Künstlerrunde eines Freundes an und schreibt mit „Geharnischten Sonetten“ gegen die Herrschaft Napoleons. Doch auch der Dichter muss für seinen Lebensunterhalt sorgen: 1815 wird er Redakteur des berühmten „Morgenblattes für gebildete Stände“ in Stuttgart. Nicht einmal zwei Jahre später reist Rückert nach Italien. In Rom schließt er sich der deutschen Künstlerkolonie an, erkundet die Stadt und schreibt Gedichte. Zurück in der Heimat veröffentlicht Rückert zum ersten Mal eigene Werke und studierte weiter Sprachen. Er verliebt sich, heiratet und wird Vater.

 

Zeitkontext: „Journale“ (Auszug)

Patriotischer Modetrend. Die ›Altdeutsche Tracht‹

Viele junge deutsche Männer und Frauen zeigten in den letzten Jahren ihre politische Einstellung durch ihre Kleidung: Sie tragen ›altdeutsche Tracht‹ und setzen damit ein provokantes Zeichen für einen deutschen Nationalstaat. Ein dunkler, knielanger und hochgeschlossener Rock über einem weißen Hemd mit über dem Revers getragenen Kragen wurde zur Standeskleidung der Studenten. Frauen griffen auf Elemente vergangener Modeepochen zurück, die man für typisch deutsch hielt: Gotische Halskrausen und Puffärmel von Renaissance-Roben demonstrieren die nationale Einstellung ihrer Trägerin. Inzwischen ist diese patriotische Mode verboten.

 

 

 

Einführungstext zu Ausstellung (Raumtext)

Eine Bestandsaufnahme

Das Museum im Kulturspeicher Würzburg besitzt in der Städtischen Sammlung rund 1300 Kunstwerke aus der Zeit des Nationalsozialismus (1933–1945). Viele Genre-Gemälde, Porträtbüsten oder Landschaftszeichnungen stehen in der Tradition der akademischen Kunst des 19. Jahrhunderts. Andere Kunstwerke vermitteln offen nationalsozialistische Propaganda. Im Würzburger Bestand befinden sich Arbeiten von regional bekannten Künstlerinnen und Künstlern, aber auch von Malern, die zu den erfolgreichsten Kunstproduzenten im Nationalsozialismus überhaupt gehörten.

Das Museum im Kulturspeicher hat seinen Bestand aus der NS-Zeit wissenschaftlich bearbeitet. In der Ausstellung sind ca. 90 ausgewählte Arbeiten von 60 Künstlerinnen und Künstlern zu sehen. Viele dieser Werke werden zum ersten Mal nach 1945 wieder präsentiert.

Die Ausstellung zeigt die Geschichte(n) hinter der Würzburger Sammlung und ihren Kunstwerken: Wie kamen die Gemälde, Skulpturen oder Grafiken in die Sammlung? Von wem stammen sie? Welche Themen greifen sie auf? Unter welchen Bedingungen sind sie entstanden?

 

Kapiteltext

Kunst im Nationalsozialismus

Kunst war im „Dritten Reich“ ein wichtiger Bestandteil des Regimes und lieferte oft deninszenatorischen Rahmen für Macht und Gewalt. Besonders Werke der bildenden Kunst waren wirkungsvolle Instrumente der Propaganda. Mit Bildern und Skulpturen konnte man leicht ideologische Botschaften transportieren.
Jedes künstlerische Werk aus der Zeit zwischen 1933 und 1945 entstand unter den Bedingungen des nationalsozialistischen Kulturbetriebs. Das gesamte Kulturleben war zentral gesteuert und wurde von der „Reichskulturkammer“ streng kontrolliert. Im September 1933 war sie mit sieben Einzelkammern, u. a. der „Reichskammer der bildenden Künste“, gegründet worden. Vorsitzender war der Reichsminister für Volksaufklärung und Propaganda, Joseph Goebbels. Die Mitgliedschaft in der „Reichskammer der bildenden Künste“ entschied über berufliche Existenzen und Karrieren und später im Krieg über Materialzuteilungen. Auch an den „Großen Deutschen Kunstausstellungen“ in München konnte nur teilnehmen, wer Mitglied war. Wer nicht aufgenommen oder ausgeschlossen wurde, wie alle als „nicht arisch“ geltenden Künstlerinnen und Künstler, hatte praktisch Arbeits- und Berufsverbot.

 

 

 

Kapiteltext

Bildung für alle. Von der Schulpflicht zur Bildungsgerechtigkeit

Volksschüler sollen disziplinierte Staatsbürger werden, Mädchen gute Mütter und Berufsschüler qualifizierte Arbeiter. Der Besuch einer höheren Schule, das Abitur zu machen oder auf dem zweiten Bildungsweg einen Abschluss nachzuholen, sind lange keine Selbstverständlichkeiten. Viele Kinder bleiben von höherer Bildung ausgeschlossen, weil ihre Eltern das Schulgeld nicht bezahlen können. Mädchenbildung hält man bis weit in das 20. Jahrhundert für unnötig. Für Kinder mit körperlichen und geistigen Einschränkungen gibt es zunächst nur wenige Schulen und passende Hilfestellungen. Herkunft oder Bildungsstand der Eltern bestimmen oft noch heute den Bildungsweg eines Menschen. Ziel der Münchner Bildungsplanung ist, allen Zugang zu den Angeboten zu ermöglichen, die sie brauchen oder sich wünschen.

 

Ein Münchner Bildungsweg

„Das Sau Sau Sau Sau-Kotz-Abitur habe ich endlich hinter mir …“
Erika Mann (Abitur 1924)

Erika Mann, geboren 1905 in München als die Tochter von Thomas und Katia Mann, hatte zu Beginn des 20. Jahrhunderts in ihrer Heimatstadt fast alle Schularten durchlaufen, bis sie 1924 schließlich das Abitur ablegte: „Das Sau Sau Sau Sau-Kotz-Abitur habe ich endlich hinter mir . . .“, schrieb sie kurz danach an Freundinnen.

Die Schulkarriere der späteren Publizistin, Kabarettistin und Schauspielerin begann zunächst mit Privatunterricht im elterlichen Haus. Zusammen mit ihrem Bruder Klaus besuchte sie dann die exklusive Privatschule Ernestine Ebermeyer in Schwabing, seit Anfang des Ersten Weltkrieges eine öffentliche Volksschule und schließlich die Städtische Höhere Mädchenschule am St .-Anna-Platz. Klaus besuchte das traditionsreiche Wilhelmsgymnasium, zu dem sie als Mädchen keinen Zutritt hatte. Die Aufnahmeprüfung bestand Erika Mann äußerst knapp; das Vorrücken oder auch nur ihr Verbleib an der Schule standen immer wieder infrage. Schule war für Erika Mann

eine lästige Pflicht; Anweisungen von Erzieherinnen und Lehrern widersetzte sie sich aus Prinzip und mit Nachdruck. Am Ende bestand sie das Abitur trotzdem noch am Luisengymnasium, der damals einzigen Schule, an der das für Mädchen möglich war. „Aus purer Liebe [zur Mutter Katia Mann] habe ich das Abitur ‚gebaut‘ und mit einem Zeugnis bestanden, das in der Welt einzig sein dürfte; es ist so miserabel, dass ich es mir eingerahmt habe, und jeder, der mich besucht, kann es in der Diele lesen.“

 

Magazintext (Ausschnitt)

Große Oper für das eigene Ich: Das Selfie und seine Vorläufer

Aufgenommen werden sie nach dem Workout oder der Downhill-Tour, zusammen mit der besten Freundin oder dem Lieblingsstar, geschminkt, mit Kussmund oder dank Digitalfilter mit Hasenohren oder Katzenschnauze. Und jetzt, in Pandemiezeiten, auch mit Mund-Nasen-Schutz: Selfies. Menschen lieben die Selbstbilder. Mal als wackliger Schnappschuss, mal als aufwendige Inszenierung – immer jedoch mit dem eigenen Smartphone produziert – bevölkern sie den digitalen Raum.

Dieser Massenerscheinung halten manche Pädagogen oder Soziologinnen entgegen: Selfies seien nie dagewesener Ausdruck von Oberflächlichkeit und eines völlig überzogenen Selbstbewusstseins. Eine Studie der University of Ohio will vor einigen Jahren sogar einen Zusammenhang von häufigem Selfie-Posten und Zügen von Psychopathie nachgewiesen haben. Die Eigenbild-Süchtigen scheinen zudem unmittelbar gefährdet. Meldungen von „Selfie-Unfällen“ belegen: Einzelne Menschen wurden beim Fotografieren angefahren, sind auf der Suche nach dem richtigen Bildausschnitt von einer Klippe gestürzt oder über Bord gegangen. Ist es wirklich die allseits gesteigerte Selbstverliebtheit, die zur Massenverbreitung von Selfies führte? Und ist das Phänomen wirklich so neu, eine Erfindung des digitalen Zeitalters?

Das inszenierte und für die Öffentlichkeit bestimmte Eigenbild gehört zu den Klassikern der Kunst – ob gemalt, gezeichnet, geformt oder später fotografiert. Anfangs dezent, etwa als kleine Figur des Buchillustrators in mittelalterlichen Handschriften oder als Porträtkopf des Bildhauers in ein gotisches Grabmalrelief eingeschmuggelt, wird es in der Renaissance zum eigenständigen Bildtypus. Seither setzen sich Künstler so in Szene, wie sie es möchten, wie es in ihrer Zeit verstanden wird oder auch provoziert: als eleganter Edelmann an der Staffelei wie der preußische Hofmaler Antoine Pesne (1683-1757), als mit raumgreifender Bewegung malende Kreative wie Artemisia Gentileschi (1593-1654) oder als Nackte mit Stundenglas wie Maria Lassnig (1919-2014).

Lange waren Selbstbildnisse eine Frage des Könnens. Ein mit Mühe zu Papier gebrachtes Abbild vom eigenen Selbst, das nach geltenden Qualitätsmaßstäben nicht ganz gelungen ist – der Mund zu klein, die Augenlinie schief, das Kinn zu eckig – wird niemand gerne herumzeigen. Hier brachte irgendwann die Technik Abhilfe. Mit der Fotografie und der im 20. Jahrhundert immer erschwinglicheren Ausrüstung konnten nun Amateurfotografen mit dem Selbstauslöser ein inszeniertes Bild von sich knipsen. Auch im Digitalen war es die technische Entwicklung, die viel mehr Menschen die Mittel an die Hand gab. Smartphone-Kameras und kostenlose Bearbeitungsapps machen Selfies seit etwa zehn Jahren zum Massenphänomen – weltweit. (…)

 

 

 

 

 

 

 

Texte für Ausstellungen und Museen